Von Denk- und Sprechverboten hält Hussein Hamdan, promovierter Islam- und Religionswissenschaftler, nichts. Das wird gleich zu Beginn seines Vortrags „Das muslimische Leben in Deutschland“ deutlich. „Wir müssen nicht alles gut finden in einer Demokratie. Aber die Regeln einhalten müssen wir alle. Das Grundgesetz ist nicht verhandelbar.“
Am 4. Oktober begrüßten die Malteser im Rhein-Lahn-Kreis rund 30 Teilnehmende zu einem Informationsabend. Die katholische Hilfsorganisation will mit Veranstaltungen wie diesen zu mehr Miteinander und Dialog beitragen. Hussein Hamdan ist Leiter des Fachbereichs „Muslime in Deutschland“ der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart und Autor des SWR-Podcast „Islam in Deutschland“. Der Kontakt zu den Maltesern kam auf privatem Wege zustande: Hamdan ist in Diez aufgewachsen und fühlt sich noch immer hier verwurzelt.
Hamdan warnt einerseits vor falscher Toleranz und andererseits davor, Probleme zu islamisieren: „Das Grundgesetz ist nicht verhandelbar, strafbares Verhalten muss von Staats wegen sanktioniert werden. Allerdings – vom Grad der Gewaltbereitschaft junger, mitunter machohaft auftretender Männer auf deren Religionszugehörigkeit zu schießen, ist falsch.“ Man müsse immer den Einzelfall betrachten und dürfe nicht pauschalisieren.
„Wir dürfen nicht Menschen, bei denen wir einen muslimischen Glauben vermuten, in Kollektivhaftung nehmen für ein Verhalten, das das Gros der Muslime ablehnt.“
Das Kreuz gehört zum Christentum
An diesem Abend ist Hussein Hamdan als Privatperson der Einladung der Malteser gefolgt. Aus seinem beruflichen Nähkästchen plaudert der Religionswissenschaftler dann aber doch. Hamdan berät als Fachbereichsleiter der Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart unter anderem Gemeinden, Kommunen und Ministerien in Fragen des Zusammenlebens und im Umgang mit muslimischen Verbänden, Organisationen und Interessensgruppen. Dabei wird deutlich, wie befangen sich der Kontakt zum „muslimischen Leben“ gestaltet, wenn Wissen fehlt oder man Angst hat, etwas falsch zu machen. „Es ist schon vorgekommen, dass ich von christlichen Organisationen gefragt werde, ob man für ein Gespräch mit muslimischen Interessensvertretern im Vorfeld nicht besser das Kreuz in den eigenen Räumlichkeiten abhängen solle, um die Atmosphäre nicht zu stören.“ Für Hamdan ist das ein Beispiel für falsche Toleranz. Er plädiert dafür, sich seines eigenen Standpunkts bewusst zu sein und sein Profil zu schärfen. „Das Kreuz gehört zum Christentum. Warum sollte man es abhängen, wenn es doch zur eigenen Lebenswirklichkeit und Identität gehört.“
Mehr Empathie für Menschen mit Fluchterfahrung
Handlungsbedarf sieht Hamdan im Umgang mit Menschen, die nach traumatischer Flucht aus lebensfeindlichen Bedingungen zu uns kommen. Immer wieder erlebe er, dass „wir vergessen, welch schweres Paket diese Menschen tragen. Statt ihnen als erstes die Mülltrennung in Deutschland zu erklären, sollten wir ihnen in verständlicher Sprache eine Einführung in Landeskunde und in die Gesetzeslage geben.“ Und dort, wo sich ein Mensch scheinbar nicht integrieren wolle, müsse man genau hinschauen, statt sich von Vorurteilen leiten zu lassen. „Das, was wir als unangepasstes Verhalten definieren, hängt vielleicht eher mit dem Erlebten als mit dem Charakter zusammen.“ Wenn ein Geflüchteter beispielsweise Termine am Morgen verpasse, weil er erst gegen Mittag aufsteht, könnten Kriegserfahrungen der Grund sein. „Wer lange Zeit nachts Angst vor Bomben und Übergriffen haben musste, findet erst im Hellen schlaf.“ Und verhaltensauffällige Kinder seien unter Umständen gar nicht unerzogen, sondern tickten aus, weil sie mit den „paradiesischen Zuständen“ in Deutschland nicht klarkämen, die in krassem Widerspruch zu den Lebensumständen stehen, in denen sie bisher aufgewachsen sind.